Presserat

Suche nach Frühlingsgefühlen

von

Der Fall:

Die Redakteurin einer Lokalzeitung gibt in einem Stadtmagazin inkognito eine Kontaktanzeige auf. Ein Interessent – der Beschwerdeführer – meldet sich bei der Frau, die ihm daraufhin mitteilt, dass die Anzeige nicht echt sei. Es handele sich vielmehr um den Beginn einer Recherche zu Frühlingsgefühlen und dem Wonnemonat Mai. Sie bittet ihn, aus seinem Schreiben an sie in einem Artikel zitieren zu dürfen. Wenn sie innerhalb von zwei Tagen nichts von ihm höre, gehe sie davon aus, dass sie die Zitate verwenden dürfe. Der Beschwerdeführer sieht einen Verstoß gegen Recherchegrundsätze. Die verdeckte Recherche der Redakteurin sei nicht durch ein besonders öffentliches Interesse gedeckt.

Die Redakteurin habe die Hoffnung der Menschen auf eine Partnerschaft ausgenutzt. Der Beschwerdeführer weist auch darauf hin, dass Antworten auf Kontaktanzeigen viel Mühe kosteten. Im Übrigen sei die Umdeutung von Schweigen als Zustimmung unzulässig.

Die Redaktion:

Wie der Chefredakteur mitteilt, wurde er von der Redakteurin über ihr Projekt und die Kritik des Lesers informiert. Daraufhin habe er die Berichterstattung gestoppt und eine Anwaltskanzlei um rechtliche Einschätzung des Vorhabens gebeten. Ergebnis dabei sei gewesen, dass ein gewisses öffentliches Interesse am Thema Kontaktanzeigen bestehe. Die Informationen seien auf anderen Wegen nicht zu erhalten gewesen, da es um unverblümte, reale Reaktionen auf eine spezifische Anzeige gegangen sei. Das Vorgehen der Autorin sei auch keine klassische verdeckte Recherche. Sie habe zwar Kontaktanzeigen aufgegeben, aber die Rolle nicht weiter gespielt. Sie habe sich vielmehr den Männern als Journalistin zu erkennen gegeben. In der Berichterstattung habe sie zudem alles vermieden, was eine Identifizierung der Betroffenen ermöglicht hätte. Außerdem seien die Reaktionen und Zitate nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Zustimmung der Betroffenen verwendet worden.

Das Ergebnis:

Die Redakteurin hat die in Ziffer 4 des Pressekodex definierten Grenzen der Recherche überschritten, weshalb der Presserat eine Missbilligung ausspricht. Ziffer 4 besagt, dass eine verdeckte Recherche im Einzelfall gerechtfertigt ist, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichem Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind. Ein solches öffentliches Interesse sieht der Beschwerdeausschuss in diesem Fall nicht. Auch wenn eine verdeckte Recherche nur im Ansatz stattgefunden hat, so ist auch diese nicht vertretbar, da die damit beschafften Informationen nicht von überragendem öffentlichem Interesse sind. Hinzu kommt, dass es nach Meinung des Beschwerdeausschusses auch andere Wege gegeben hätte, an die gewonnenen Informationen zu gelangen.

Der Kodex:

Ziffer 4 – Grenzen der Recherche

Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.

Richtlinie 4.1 – Grundsätze der Recherchen

Journalisten geben sich grundsätzlich zu erkennen. Unwahre Angaben des recherchierenden Journalisten über seine Identität und darüber, welches Organ er vertritt, sind grundsätzlich mit dem Ansehen und der Funktion der Presse nicht vereinbar.

Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichem Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.

Bei Unglücksfällen und Katastrophen beachtet die Presse, dass Rettungsmaßnahmen für Opfer und Gefährdete Vorrang vor dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit haben.

Autor

Jens Radulovic ist Referent Beschwerdeausschüsse beim Presserat.

E-Mail: radulovic@presserat.de

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