Presserat

Wenn Herkunft eine Rolle spielt

von

aus drehscheibe 01/2023

Der Fall 

„Ukrainerin (18) von zwei Flüchtlingen vergewaltigt“ – so überschreibt eine Boulevardzeitung online ihren Bericht über die Vergewaltigung einer Ukrainerin auf einem Hotelschiff. Die Zeitung schreibt: „Sie soll nacheinander von zwei Männern aus dem Irak und Nigeria (37 und 26 Jahre alt) misshandelt worden sein. Beide sollen auch die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen. Die Polizei hat Ermittlungen wegen des ‚Verdachts der Vergewaltigung‘ eingeleitet. Dabei soll u. a. auch geklärt werden, wie die beiden mutmaßlichen Täter an den ukrainischen Pass gekommen sind.“ Der Artikel schließt mit dem Satz: „Nach (…)-Informationen stoßen Polizisten im Grenzgebiet immer öfter auf Flüchtlinge, die nicht direkt aus der Ukraine stammen, sondern z. B. aus Afrika.“ Eine Leserin der Zeitung kritisiert die nach ihrer Meinung unzulässige Heraushebung der Nationalität der mutmaßlichen Täter. Die Redaktion legt ihrer Meinung nach andeutungsweise den Schluss nahe, dass die beiden Tatverdächtigen sich ihre ukrainischen Pässe erschlichen haben könnten.

Die Redaktion 

Der Autor des Artikels hält die Einwände für unbegründet. Es handele sich um eine reine Wiedergabe von Tatsachen. Im Übrigen sei auch nicht ersichtlich, dass hier eine Minderheitengruppe diskriminiert werde. Diskriminierend sei eine Berichterstattung erst dann, wenn es zu einer Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens komme, nicht aber, wenn nur ein einzelnes Mitglied einer solchen Gruppe erwähnt werde. Im Sinne einer umfassenden Unterrichtung der Leserschaft sei es auch notwendig gewesen, die Nationalität zu nennen.

Das Ergebnis 

Die Beschwerde ist unbegründet. An der Nennung der Nationalität der mutmaßlichen Täter besteht aufgrund der Besonderheit des Ortes, der Zielrichtung der polizeilichen Ermittlungen und der angesprochenen Pass-Debatte ein öffentliches Interesse. Die Nationalität der Verdächtigen wird von der Redaktion zwar erwähnt, aber nicht hervorgehoben. Der Ausschuss sieht daher die Gefahr einer Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens nach Richtlinie 12.1. nicht gegeben.

Der Kodex

Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer eth-nischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Ziffer 12.1. – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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