Namensnennung

Der Mord bleibt im Archiv

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Die Tat erregte im Jahr 1990 erhebliches Aufsehen: Mit einem Hammer war der populäre Schauspieler Walter Sedlmayr in seiner Münchner Wohnung erschlagen worden. Die Ermittlungen konzentrierten sich bald auf zwei Halbbrüder, von denen einer der Ziehsohn Sedlmayrs war. Im Jahr 1993 wurden beide Männer nach einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. In den meisten Tageszeitungen wurde (selbstverständlich) über den Ausgang des Prozesses berichtet – und zwar unter vollständiger namentlicher Nennung der Mörder. Im Jahr 2007 beziehungsweise 2008 wurden die Mörder dann auf Bewährung aus der Haft entlassen.

Beide versuchten nach ihrer Entlassung, die Löschung ihrer Namen in online abrufbaren Archiven von Zeitungen durchzusetzen. Dank des sogenannten fliegenden Gerichtsstands waren die Mörder, nach zunächst erfolglosen Versuchen bei anderen Gerichten, in Hamburg erfolgreich. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) gab den Tätern in fast allen Fällen recht und untersagte die Namensnennung, die zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Veröffentlichung noch zulässig gewesen war. Die Begründung lautete: Die archivierte Berichterstattung verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mörder. Denn die Beiträge seien in den Jahren 2007 beziehungsweise 2008 – also kurz vor der Entlassung der Täter aus der Haft – abrufbar gewesen. Dadurch werde das schutzwürdige Interesse der Mörder auf „Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ beeinträchtigt.

Dieses Interesse der Täter überwiege das der Öffentlichkeit, sich über die vergangene Straftat und die Namen der Täter informieren zu können. Im Übrigen sei auch die Einschränkung der Medien „denkbar gering“ – so das Oberlandesgericht; denn nicht die Berichterstattung über die Tat, sondern lediglich die namentliche Nennung der Täter werde unterbunden. Den Umstand, dass die archivierten Meldungen als solche erkennbar seien und nicht mit aktuellen Meldungen verwechselt werden könnten, ließ das Gericht nicht gelten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) sah das anders, er hielt die in den Archiven abrufbare Berichterstattung im Ergebnis für zulässig. Zwar folgte er dem Oberlandesgericht Hamburg insoweit, dass das Persönlichkeitsrecht der Täter durch die archivierte Berichterstattung beeinträchtigt werde. Bei der Interessenabwägung kam der Bundesgerichtshof allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis.

Denn das Oberlandesgericht habe das von den Medien verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung zu gering bewertet. Dieses Interesse sei aufgrund des Umstands, dass es sich um ein aufsehenerregendes Gewaltverbrechen gehandelt hatte, hoch zu bemessen. Je länger die Straftat zurückliege, desto stärker werde zwar das Interesse des Täters, vor einer Reaktualisierung, also vom „Wiederaufwärmen“ der Tat, verschont zu bleiben. Der Täter könne allerdings nicht erwarten, deshalb gegen seine ungewollten Darstellung in der Öffentlichkeit vollständig immunisiert zu sein.

Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründe keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Tat konfrontiert zu werden. In die Abwägung ließ der Bundesgerichtshof ebenfalls einfließen, dass die Berichterstattung die Persönlichkeitsrechte der Täter nicht in erheblicher Weise beeinträchtigte, weil sie dadurch nicht „ewig an den Pranger“ gestellt oder an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt würden. Auch die geringe Breitenwirkung der archivierten Berichterstattung sprach zugunsten der Medien. Und schließlich erkannte der Bundesgerichtshof das Interesse an, zeitgeschichtliche Ereignisse recherchieren zu können.

Oliver Stegmann

Autor

Dr. Oliver Stegmann ist als Rechtsanwalt in Frankfurt zugelassen und arbeitet als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Presse- und Urheberrecht sowie das Recht der Neuen Medien. Seine Promotion befasst sich mit der Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse.

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