Interview

„Bei der Wortwahl achtsam bleiben“

von Stefan Wirner

Islamismus ist ein Problem, über das sich nur schwer berichten lässt. Die Nordstadtblogger aus Dortmund haben sich Aktivitäten einer Gruppe in der Stadt angesehen. Wir sprachen mit der Autorin Darya Moalim.

Frau Moalim, Sie haben sich die Aktivitäten islamistischer Gruppen aus Dortmund im Internet angesehen. Was war der Anlass, die Idee für diesen
Artikel?

Ich bin genauso drauf gestoßen, wie die meisten jungen Leute auf solche Videos stoßen: Es wurde mir über Social Media zugespielt. Da ich mich aber
schon häufiger mit dem Thema Islamismus auseinandergesetzt habe, hatte ich einen kritischen Blick darauf. Es handelte sich um ein Video von einer
palästinensischen Demonstration in Dortmund. Und dann kam mir der Name der Gruppierung seltsam vor: Furkan-Gemeinschaft. Da habe ich dann genauer
nachrecherchiert, und so ist das Thema ins Rollen gekommen. Ich wollte das Thema dann für die Nordstadtblogger lokal aufbereiten.

Das heißt, Sie haben das Thema Islamismus schon länger im Blick?

Ja, ein wenig.

Wie haben Sie dann recherchiert?

Ich sah mir Verfassungsschutzberichte aus mehreren Bundesländern an und Anfragen aus dem Bundestag, außerdem einen Bericht der Bundeszentrale für
politische Bildung, wo auch eine Einschätzung eines Experten wiedergegeben wird. Einen Experten auf lokaler Ebene konnte ich leider in der Kürze der Zeit
nicht finden. Und ich sah mir entsprechende Tweets an.

Bekommt man denn von den Aktivitäten dieser Gruppierung in Dortmund etwas mit?

Tatsächlich gar nicht. Erst im Zuge des Israel-Palästina-Konflikts, da haben die Kundgebungen organisiert und auf Social Media Inhalte verbreitet. Aber auf
lokaler Ebene in Dortmund findet man eigentlich kaum etwas zu denen.

Hat sich bei der Gruppe dann im Zuge dieses Krieges etwas verändert? Sind die aktiver geworden? Konnte man das beobachten?

Die haben ihre Kanäle viel intensiver bespielt. Auch der Podcast, der vorher inaktiv war, hat sich dann primär auf das Thema gestürzt hat, da wurden in
regelmäßigen Abständen neue Episoden veröffentlicht. Aber ganz klar konnte man es auf dem Tiktok Kanal beobachten. Sie haben mit Kundgebungen und
Videos versucht, emotional viele Leute anzusprechen.

Eine Frage beschäftigt viele Lokaljournalisten immer wieder: Wie benennt man bestimmte Formen des Extremismus? Man sagt man zum Beispiel
Rechtsextremismus, wann Rechtspopulismus? Viele gehen auf Nummer sicher und sprechen dann lieber gleich von Rechtspopulismus. Wie ist es denn
bei solchen Gruppen? Sie sprechen ja von antisemitischen Ansichten, die da zum Beispiel geäußert werden.

Ich habe versucht, mich am Wortlaut des Verfassungsschutzes zu orientieren, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten. Man muss da tatsächlich sehr vorsichtig sein, man will sich ja auch keine Klage einhandeln. Der VS spricht in Bezug auf diese Gruppierung von einem „Legalistischen Islamismus“, der als sehr radikal eingestuft wird. Dabei sollen extremistische Ziele nicht durch offene Gewalt, sondern durch politische und gesellschaftliche Mittel innerhalb der bestehenden Gesetze verfolgt werden. Die Gruppen treten demnach nach außen sehr dialogbereit und gesetzestreu auf, aber im Inneren bekennen sie sich zu einer sehr strikten Auslegung des Korans und der Scharia. Gerade darin liegt die größere Gefahr: Das alles passiert sehr unterschwellig, um die Ideologie schleichend in die Gesellschaft zu tragen, ohne dass sie sofort als extremistisch auffällt.

Haben Sie ein Beispiel für eine Äußerung dieser Organisation?

Wenn wir über antisemitische Äußerungen sprechen, dann ist vor allem der Gründer Alparslan Kuytul wichtig. Er hat mehrfach öffentlich erklärt, dass er Israel nicht als Staat anerkennt und auch niemals anerkennen werde. Diese Aberkennung des Existenzrechts gilt klar als antisemitisch, weil sie über eine Kritik an der Politik Israels hinausgeht und die Legitimität des gesamten Staates in Frage stellt.

Zudem hat sich Kuytul im Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 offen mit der sogenannten Al-Aqsa-Flut-Operation solidarisiert. Er deutete die Angriffe als Selbstverteidigung und rief die Palästinenserinnen und Palästinenser zum Jihad auf. Auch dadurch zeigt sich, wie Feindbilder religiös aufgeladen und extremistische Gewalt legitimiert werden.

Gab es denn von Seiten dieser Gruppierung Reaktionen auf den Text?

Keine, die mich erreicht haben. Ich habe auch im Namen der Nordstadtblogger die Pressestelle der Gruppe kontaktiert, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich
zu äußern. Aber da kam gar nichts. Womit ich auch gerechnet habe, da diese Gruppierung in sich sehr geschlossen ist.

Steht die Gruppierung in Verbindung mit bestimmten Moscheen?

Soweit ich weiß, ist es eher eine Art Vereinstreffen. Die sind sehr für sich und haben keine Moschee im Blick. Wenn, dann ist das sehr niederschwellig. Das
sind eher sektenartige Strukturen.

Sie haben sich auch angesehen, welche Ausstiegsmöglichkeiten es gibt, wenn junge Leute da hineingeraten sind. Das beschreiben Sie als relativ schwierig.

So stellt es der Experte dar, der ja selbst im Aussteigerprogramm tätig ist. Aber das bekommt man immer wieder mit, wenn man sich mit dem Thema
Islamismus auseinandersetzt. Besonders wenn die Organisation den jungen Leuten Struktur oder Halt gegeben hat. Deswegen war das an der Stelle auch
für uns als Redaktion wichtig zu erwähnen.

Gab es denn ansonsten noch Reaktionen auf den Beitrag von Leserinnen und Lesern?

Aus der Leserschaft konkret nicht. Wir haben generell in dem Zeitraum, in dem die Themen Palästina und Israel aufgegriffen wurden, die Kommentarspalte
deaktiviert, weil es jedes Mal eine extrem aufgeheizte Diskussion gab und die Moderatoren nicht mehr mitgekommen sind. Aber interessanterweise in
meinem direkten Umfeld. Viele waren überrascht und und haben mich gefragt, wie ich auf die Gruppierung gekommen sei. Und umso überraschter waren sie,
wenn ich sagte: „War gar nicht so schwer. Eigentlich haben die mich gefunden.“ Es herrschte Ungläubigkeit darüber, dass es so nah in ihrem Umfeld
passiert. Das Thema war plötzlich nicht mehr so abstrakt. Manche sind schon öfter an der Einrichtung vorbeigelaufen und haben das gar nicht
wahrgenommen.

Was würden Sie Kolleginnen und Kollegen raten, die in einer Lokalredaktion sitzen und Vergleichbares beobachten und darüber schreiben? Was würden
Sie als Tipp mitgeben, worauf man vielleicht so ein bisschen achten muss, wenn man das Thema aufgreift?

Ich habe nochmal zwei Personen drüber lesen lassen und gefragt, ob es irgendwie in die islamfeindliche Sparte oder in die palästina-feindliche Sparte
eingeordnet werden könnte. Denn das wollte ich unbedingt vermeiden. Denn im gleichen Atemzug verstärkt sich ja auch der antimuslimische Rassismus. Das
ist auch ein Grund dafür, warum solche Organisationen Anklang finden. Mir war es dennoch wichtig, mich nicht aus Angst vor einer solchen Einordnung zurückzuhalten, sondern klar auf die Gefahren hinzuweisen, weil sie sonst im Verborgenen weiter wachsen. Oft sind es muslimische Jugendliche, die von solchen Strömungen angezogen werden, das sollte auch klar benannt werden. Gleichzeitig wollte ich verdeutlichen, wie der Israel-Palästina-Konflikt von bestimmten Gruppierungen instrumentalisiert wird.

Umso wichtiger ist es, bei der Wortwahl achtsam zu bleiben, damit notwendige Kritik nicht missverstanden wird und unbeabsichtigt selbst Ressentiments verstärkt werden. Ebenso entscheidend ist es aus meiner Sicht, die verschiedenen Faktoren und Einflüsse sichtbar zu machen, die dazu beitragen, dass solche Gruppierungen Zulauf finden. Dazu gehört, wie bereits erwähnt, auch der zunehmende antimuslimische Rassismus, der ein Nährboden für Ausgrenzung und Ungerechtigkeit ist und damit selbst Teil dieser Dynamik wird. Wenn man das nicht klar benennt, bleibt das Bild unvollständig.

Interview: Stefan Wirner

Hier geht es zum Artikel bei den Nordstadtbloggern:

https://www.nordstadtblogger.de/dortmunder-islamisten-im-netz-wenn-der-nahostkonflikt-strategisch-integriert-wird/

Zum bpb-Gespräch mit einem Islamismus-Experten

 

Darya Moalim

schreibt für die Nordstadtblogger.

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