„Die größte Krise der kommenden Jahrzehnte“
von Josephine Macfoy

Während der Klimawandel voranschreitet und Wetterextreme häufiger werden, nimmt das Interesse teilweise ab. Lokalredakteurin Lena Kapp beschäftigt sich seit langem mit dem Thema und entwickelt gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen neue Ideen für die Berichterstattung. Dabei hilft das Klimanetzwerk der Verlagsgruppe Rhein-Main (VRM). Was es damit auf sich hat und welche Erkenntnisse Kapp über die lokale Klimaberichterstattung gewonnen hat, erzählte sie im Interview.
Frau Kapp, Sie arbeiten sehr viel an Klimathemen. Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?
Ich habe als Volontärin Station bei den Zentralreporterinnen und -reportern der VRM gemacht, die große Mantelthemen umsetzen. Wir als Nachwuchs wurden gefragt, ob wir uns in Form einer Serie längerfristig des Klimas annehmen möchten. Wir wollten – denn die Klimakrise bewegte uns. Schließlich haben wir die Serie über unser komplettes Volontariat hinweg überregional und lokal weiterverfolgt und anschließend an neue Volos übergeben. Das Thema hat mich auch danach weiter begleitet.
Was kann Lokaljournalismus für das Klima tun?
Unser Auftrag als Medienschaffende ist es, Menschen über den Zustand der Welt zu informieren. Das kann manchmal ein bisschen wehtun wie man am Klima sieht. Die Klickzahlen der Inhalte, die sich mit Klima und Umwelt auseinandersetzen, sind teilweise rückläufig, obwohl der Klimawandel sich verstärkt. Gerade weil das Interesse an diesem Thema schwankt, finde ich es aber besonders wichtig, als lokales Medienhaus Klima-Geschichten anzubieten, die vor der Haustür spielen, die den Leuten zeigen: In diesem Zustand ist eure Umgebung und das könnt ihr konkret verändern. Dass das ohne Zeigefinger gelingt, ist ein Balanceakt.
Wie meistern Sie ihn?
Wir überlegen, was die Menschen tagtäglich sehen und mitbekommen. Das kann extreme Hitze sein, die Dürre der Wälder in Rheinhessen und an der Nahe, der CO2-Fußabdruck in der Urlaubszeit oder Starkregen. Wir greifen darüber hinaus Themen auf, die von einem größeren, teils sogar globalen Kontext abgeleitet oder mit anderen Ressorts verknüpft sind. Ein Beispiel: Ein Leitartikel im Politik-Ressort fragt: Wo sind die Klimaschutz-Maßnahmen im neuen Koalitionsvertrag? Lokal berichte ich parallel über ein konkretes Problem wie die Trockenheit. Es kommt immer darauf an, wie und wo ein Beitrag platziert ist.
Stichwort Zusammenarbeit: Gemeinsam mit dem leitenden Reporter Jens Kleindienst haben Sie ein verlagsinternes „Klimanetzwerk“ gegründet. Was ist das und was war die Idee dahinter?
Wir dachten, es wäre spannend, Menschen aus allen Redaktionen und aus unserem gesamten Verbreitungsgebiet zusammenzuführen, die sich für die ganze Dimension des Klimawandels interessieren – überregional, regional und lokal. Mit ihnen wollten wir uns über die Berichterstattung austauschen, aber auch konkret zusammenzuarbeiten. Ein Kollege aus Mittelhessen hat zum Beispiel einmal recherchiert, wie warm es in der Region eigentlich in 50 Jahren wird. Die Idee fanden wir alle so spannend, dass wir sie für Berichte im ganzen Verbreitungsgebiet aufgenommen haben. Darum geht es: um eine gemeinsame Ideenwerkstatt für dieses wichtige Thema.
Wie organisieren Sie sich als Gruppe?
Unsere Sitzungen finden etwa alle vier Wochen online statt. Insgesamt sind 50 Redakteurinnen und Redakteure im Netzwerk dabei, ungefähr 20 nehmen regelmäßig aktiv teil. Wer Zeit hat, macht mit. Manchmal sind Kolleginnen und Kollegen zu sehr eingespannt, andere kommen später dazu oder schauen kurz rein. Wichtig ist uns, dass ganz unterschiedliche Menschen miteinander in Kontakt kommen. Vertreten sind die Volos, die Ressorts und Bewegtbild-Profis, die zum Beispiel überlegen, wie sie Themen für Instagram aufbereiten können. Auch mit anderen Bereichen im Haus haben wir viel Austausch und arbeiten mit ihnen zusammen, etwa am Nachhaltigkeitsbericht.

Wie haben Sie die Kolleginnen und Kollegen in der Startphase über die Idee informiert? Wie hat das Netzwerk Fahrt aufgenommen?
Zuerst haben wir einen Mailverteiler angelegt. Später gab es auch einen Kanal auf Teams. Dadurch, dass Jens Kleindienst und ich gut im Haus vernetzt sind, wussten wir, wer Interesse haben könnte. Auch die Volos haben wir eingeladen und zudem bei Ressortleitern und an verschiedenen Standorten nachgefragt, ob jemand mitmachen möchte. Im Intranet haben wir einen Artikel veröffentlicht. Diese gute Mannschaft jetzt kam letztendlich zusammen, weil wir das Netzwerk gezielt beworben haben.
Das hört sich nach gar nicht so wenig Aufwand an.
Die Interessierten gab es, insofern war es gewissermaßen ein Selbstläufer. Aber man muss schon regelmäßig ein Angebot schaffen, das Netzwerk anfüttern und moderieren – zum Beispiel, indem man ein bestimmtes Thema für eine Sitzung festlegt oder externe Gäste, etwa aus der Wissenschaft, einlädt. Damit so ein Netzwerk funktioniert, ist es nach meiner Erfahrung sinnvoll, dass zwei bis drei Leute den Hut aufhaben und das Ganze organisieren, auch wenn es eine lockere Runde ist.
Was würden Sie Verlagen empfehlen, die so eine Zusammenarbeit stärken wollen?
Das Thema Nachhaltigkeit hat bei uns im Haus insgesamt einen hohen Stellenwert. Ich freue mich, dass auch unsere Chefredaktion grünes Licht gegeben hat. Als wir beispielsweise einen Workshop geplant haben, gab es nicht eine Person, der die Teilnahme nicht gestattet wurde. Diese Unterstützung auf allen Ebenen spielt eine große Rolle.
Oft setzen sich für Klimathemen gerade junge Menschen ein. Ihr persönliches Interesse ist im Volontariat entstanden. Ist Klimaberichterstattung ein junges Arbeitsfeld?
In unserem Netzwerk beteiligen sich nicht nur junge Leute, sondern auch Menschen deutlich über 40 oder teils 50 Jahre. Es ist eine Mischung und die ist wichtig, denn: Natürlich arbeiten wir auch zielgruppenspezifisch, aber in einer Stadt wie Mainz betreffen beispielsweise die Folgen der zunehmenden Flächenversiegelung alle Menschen. Und wir sollten auch das Interesse aller Altersgruppen gewinnen, da es sich hier um die größte Krise der kommenden Jahrzehnte, aber eben auch schon der Gegenwart handelt.
Info: Aus dem Klimanetzwerk heraus entstand ein Newsletter. Dieser informiert Leserinnen und Leser jeden Sonntag darüber, was sich in der Region und darüber hinaus in Sachen Klima tut.
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