Ein extremer Fall, der kaum überrascht
von Stefan Wirner

Beleidigungen, beschmierte Wände, Drohbriefe und -mails: Attacken auf Lokalpolitiker und Lokaljournalisten gehören in manchen Regionen Deutschlands inzwischen zum Alltag und führen kaum noch zu einem Aufschrei. Wir sprachen darüber mit dem grünen Lokalpolitiker Felix Kalbe aus Gotha und mit dem Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Jan Hollitzer.
(Hier lesen Sie ein drehscheibe-Interview mit Felix Kalbe. Zum PDF)
Sonderlich erstaunt war Jan Hollitzer nicht, als er vom Hilferuf-Brief der beiden grünen Lokalpolitiker Felix Kalbe und Matthias Kaiser aus Gotha hörte (siehe drehscheibe 10/2025). „In seiner Vehemenz war dieser Hilfeschrei vielleicht etwas Neues, aber überrascht hat uns der Fall ehrlich gesagt nicht“, sagt der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen aus Erfurt. „Das kommt ja immer wieder vor: Angriffe gegen Parteien, gegen ihre Büros.“
Richtig zugenommen habe das zu Corona-Zeiten, da seien Bürgermeister regelrecht „belagert“ worden. „Auch hier in Erfurt haben wir in der Vergangenheit richtig üble Anfeindungen gegenüber Stadtratsmitgliedern erlebt, die sich nun nicht mehr sicher fühlen. Aber es passiert bundesweit, nicht nur hier.“
Die Berichterstattung
Immer wieder informiert die Thüringer Allgemeine ihre Leserinnen und Leser über solche Vorkommnisse. Angriffe und Pöbeleien seien öfter Thema im Lokalen, und da sei man als Verlag flächendeckend gut aufgestellt. „Wenn es größer und relevanter wird, dann beschäftigen wir uns auch in der Landespolitik damit, da haben wir unsere Reporter.“
Im Falle der beiden Grünen hat die Redaktion mehrere Formate gewählt. „Wir haben natürlich ganz klassisch berichtet. Aber wir haben auch einen Podcast aufgenommen, da war Felix Kalbe zu Gast. Das Thema wollten wir ausführlicher besprechen. Das Gespräch haben wir dann auch auszugsweise in Print und digital veröffentlicht“, erzählt Hollitzer. Die Sendung war Teil der Podcast-Reihe „Reden wir über Thüringen“. Hier geht es oft um Landespolitik, um die Stimmung im Land oder um Wirtschaftspolitik. Ministerinnen und Minister sind zu Gast, Parteienvertreter, aber auch mal ein Wissenschaftler oder ein hochrangiges Militärmitglied des Bundeslandes.
Zielscheibe Lokaljournalisten
Wie andernorts geraten in Erfurt und Umgebung neben Lokalpolitikern auch Journalisten ins Visier der Extremisten oder von pöbelnden, notorisch Unzufriedenen. „Wir hatten hier alles: Angriffe auf Journalisten, zerstochene Reifen. Noch immer werden zum Beispiel Kollegen auf Demos in Sträflingskleidung mit ,Schuldig‘-Stempel gezeigt oder als ,Lügenpresse‘ beschimpft“, erzählt Hollitzer. „Es hat zum Teil schon beängstigende Formen angenommen.“

Eine Konsequenz sei zum Beispiel, dass man nicht mehr mit gebrandetem Auto durch die Gegend fahre, damit es nicht als Zeitungsauto erkennbar sei. „Was natürlich schade ist, denn das ist ja auch Werbung, und die Menschen kriegen mit, dass wir vor Ort unterwegs sind. So etwas fällt dann eben weg.“
Solche Ereignisse schweißen aber auch zusammen. Die gegenseitige Unterstützung ist groß, wie Hollitzer erzählt. Man spricht in der Redaktion intensiv miteinander über solche Vorkommnisse, etwa als einer Kollegin bei einer Veranstaltung einer Bürgerinitiative die Kamera aus der Hand geschlagen wurde. Es gebe bei Funke, wozu die Thüringer Allgemeine gehört, eine zentrale Stelle, bei der man Formen der Beleidigung und Schmähungen melden kann. „Manchmal raten wir auch noch mal zu einer Fremdeinschätzung. Wenn jemand sagt, ich komme damit schon klar, kann es ja trotzdem sein, dass ein Trauma bleibt“, sagt Hollitzer.
Aussichten für den Nachwuchs
Könnten durch solche Vorkommnisse und Meldungen über Angriffe Probleme entstehen, Nachwuchs zu finden? Hollitzer meint, den jungen Leuten sei durchaus bewusst, „wie sehr Redakteure oder Reporter zuweilen unter Druck stehen können“. Die Parole „Lügenpresse“ sei ja inzwischen bundesweit bekannt. Aber es sei auch nicht so, dass all das jeden Tag passiert. „Meistens macht Lokaljournalismus viel Spaß, weil man an Orte kommt, an die andere Menschen normalerweise nicht kommen. Wir treffen Menschen, die andere nicht so leicht treffen können. Das Positive, das Schöne an dem Beruf überwiegt“, da ist sich Hollitzer sicher. „Wir laufen nicht ständig herum in Angst, haben gleichzeitig den transformatorischen Druck und müssen dabei fürchten, dass uns einer vermöbeln will. Dieses Bild will ich so nicht zeichnen.“
Die Gesellschaft ist gefragt
Die Probleme beträfen die ganze Gesellschaft. „Durch die herabwürdigende Sprache, die mehr und mehr benutzt wird, werden Menschen dann auch schneller gewalttätig oder fühlen sich ermutigt, gewalttätig zu werden“, sagt Hollitzer. „Und dann wird nicht mehr so genau hingesehen.“
Manche Menschen würden lieber schweigen, weil sie möglichem Streit aus dem Weg gehen wollen. „Weil man denkt, wenn man sich jetzt äußert, dann eskaliert das gleich wieder. Ich glaube, das müssen wir gesellschaftlich wieder viel besser hinbekommen. Dass man akzeptiert, dass jemand eine andere Meinung haben kann, ohne ihn gleich zu verurteilen.“
Text: Stefan Wirner
Link
Hier geht‘s zum Podcast „Reden wir über Thüringen“ der Thüringer Allgemeinen
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