Quellen

Aus Versehen abgeschrieben?

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Eine Packung voller Geschichten mit Quellen: Lokalzeitungen.
Eine Packung voller Geschichten mit Quellen: Lokalzeitungen. (Foto: Gooss Vitalij/fotolia)

Nutzen überregionale Medien Recherchen von Lokalzeitungen, ohne diese namentlich zu nennen? Das berichteten uns mehrere Lokalredakteure. Wir haben bei der Gegenseite nachgefragt.

In einem uns geschilderten Beispiel (Ausgabe 14/18) ging es um die Borkener Zeitung, die vor Ort über Kontroversen um einen homosexuellen Referendar an einem katholischen Gymnasium berichtet hatte. Später schaffte es der Fall bundesweit in die Schlagzeilen – unter anderem durch einen Artikel auf „Spiegel online“, in dem die Borkener Zeitung nicht erwähnt wird. Der Autor dieses Artikels, Armin Himmelrath, sagt, er sei über Social-Media-Einträge von Schülern auf das Thema aufmerksam geworden und habe daraufhin mit der Recherche begonnen. Zu diesem  Zeitpunkt hätten bereits verschiedene Medien über den Fall berichtet gehabt, unter anderem auch der WDR. Daher habe er die Geschichte keiner bestimmten Zeitung zugeordnet. Einige Artikel habe er sich wegen einer Paywall auch nicht ansehen können. „Ich hätte nach den Veröffentlichungszeiträumen schauen können, wer es tatsächlich als erstes hatte“, räumt er ein. Es sei ihm wichtig, Quellen möglichst konkret zu benennen. „Allgemeine Formulierungen wie ‚eine Lokalzeitung’ verwende ich nur in Ausnahmefällen“, betont Himmelrath.

Genau diese Wendung hatte aber der Chefredakteur der Borkener Zeitung, Sven Kauffelt, kritisiert. In Himmelraths Artikel heißt es unter anderem: „Weil eine Lokalzeitung vom ‚Scherbenhaufen‘ der kirchlichen Personalpolitik geschrieben hatte, gab es für die Festbesucher einen echten Scherbenhaufen.“ Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es hier um ein Missverständnis handelt. Der Satz ist ein indirektes Zitat des Schulleiters. „Der Schulleiter sagte zu mir so etwas wie ‚Das wurde hier lokal in den Medien als Scherbenhaufen bezeichnet‘“, erzählt Himmelrath. „Das habe ich dann so verwendet.“

Zusammenarbeit mit Agenturen

Dennoch ist ihm bewusst, dass Beispiele, wie sie Lokalredakteure der drehscheibe erzählt haben, häufig vorkommen. „Dass Themen von einem ins andere Medium durchsickern, ist alltäglich und passiert auch über soziale Netzwerke“, sagt Himmelrath. Das sei wie „Stille Post“ – ein Teil gehe immer verloren. Er selbst versuche, das zu vermeiden. „Wenn etwa in einer Agenturmeldung eine Zeitung erwähnt wird, übernehme ich das und verlinke sogar wenn möglich“, sagt er. Auch kontaktiere er die Kollegen vor Ort. Über das richtige Vorgehen gebe es in Redaktionen immer wieder Diskussionen. „Unter den Kollegen, mit denen ich zu tun habe, herrscht Einigkeit darüber, dass es immer dazu gehört, zu nennen, wer eine Information hatte.“

Auch Thomas Winkel, Chef vom Dienst der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA), sagt: „Unsere Vorgabe ist natürlich, in Meldungen immer die Quelle anzugeben“. Er betont: „Es gibt keine Maßgabe, Lokalzeitungen nicht zu nennen.“ Im konkreten Fall hatte die Agentur in einer Meldung Spiegel online als Quelle angegeben. Doch auch Lokalzeitungen würden erwähnt, zuletzt etwa mehrfach der Bonner General-Anzeiger, sagt Winkel und fügt hinzu: „Es ist gängige Praxis, dass viele Zeitungen den Nachrichtenagenturen vorab eine redaktionelle Fassung oder ein Interview zukommen lassen, wenn sie eine interessante Exklusiv-Information haben.“ Überregionale Medien, aber auch Regionalzeitungen handhabten das so, Lokalzeitungen seltener. „Sie sind eine Top-Informationsquelle für Lokales, aber viele Themen sind ausschließlich für die jeweilige Stadt interessant“, meint Winkel. Bei einem überregional interessanten Fall könnten Lokalzeitungen aber durchaus die Möglichkeit einer Vorabmeldung an Agenturen nutzen. KNA werte auch selbst überregionale und regionale Medien aus, könne jedoch aus Kapazitätsgründen nicht alle Lokalausgaben in den Blick nehmen. Auch gehe ein Vorgang manchmal wochenlang durch verschiedene Medien. In einer zusammenfassenden Meldung würden die ersten Quellen meist nicht mehr einzeln genannt.

Themen werden „journalistisches Allgemeingut“

RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer sagt: „Die Erfahrung zeigt: Je länger über ein Thema berichtet wird, desto mehr löst es sich von der Originalquelle und wird sozusagen journalistisches Allgemeingut.“ Journalismus lebe davon, nach rechts und links, nach oben und unten zu schauen. „Lokalzeitungen sind dabei eine sehr wichtige Quelle. Da wir an verschiedenen Orten Studios haben und Regionalmagazine produzieren, monitoren wir selbstverständlich auch die regionale Presse.“

Einen einheitlichen Umgang mit den Zeitungstiteln gebe es jedoch nicht. „Natürlich ist es journalistisch korrekt, Quellen zu benennen. Aber im hektischen Alltagsgeschäft kann das sicherlich auch einmal untergehen“, erklärt Bolhöfer. Wenn Beiträge „auf den letzten Drücker“ gekürzt werden müssten, könnte etwa eine Nennung herausfallen. Gleichzeitig betont der Pressesprecher: „Das kann einem großen TV-Sender ebenso unterlaufen wie einer Lokalzeitung. Wir bei RTL sind auch nicht erfreut, wenn wir als Quelle einer Nachricht nicht als solche erwähnt werden.“

Den Wunsch der Lokalredakteure findet er also nachvollziehbar. „Wer eine eigene, gut und aufwändig recherchierte News veröffentlicht, der sollte andere Medien auch ruhig mal darauf aufmerksam machen, wenn die den Quellenhinweis verbaselt haben.“, sagt er. Wie häufig RTL deshalb kontaktiert werde, kann er nicht sagen, da es eher einzelne Redakteure betreffe und nicht immer die Presseabteilung eingeschaltet werde. Wie der Sender damit umgehen würde, beschreibt Bolhöfer wie folgt: „Wir prüfen das, haben aber bei bereits gelaufenen Fernsehbeiträgen keinerlei Korrekturmöglichkeiten mehr. Ist eine Intervention berechtigt, können wir allerdings gegebenenfalls online nachkorrigieren, so der Beitrag dort in Textform zusammengefasst ist. Zudem können wir für Folge-Berichterstattungen einen Archivvermerk anlegen.“

Damit bestätigt sich der Eindruck der Lokalredakteure, die auch selbst keine böse Absicht vermuteten. Die korrekte Quellenangabe – auch bei Lokalzeitungen – scheint allen zumindest in der Theorie wichtig zu sein. Neben Einsicht sind also vielmehr ein stärkeres Bewusstsein und einheitliche, möglichst konkrete Vorgaben der Redaktionen gefragt.

Hier geht’s zum ersten Teil: Mal eben abgeschrieben.

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Kommentare

Kommentar von Anton |

Kaufelt war zur Hochzeit geladen. Wer hat da abgeschrieben? Recherche ist auch dann abgeschrieben, wenn man ein Schreiben in die Hand gedrückt bekommt.

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