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Eine Journalistin im westfälischen Exil

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Iryna Hornieva ist ukrainische Journalistin. Derzeit lebt sie in Hagen und arbeitet für die Westfalenpost.
Iryna Hornieva ist ukrainische Journalistin. Derzeit lebt sie in Hagen und arbeitet für die Westfalenpost.
Jens Stubbe leitet die Stadtredaktion Hagen der Westfalenpost.
Jens Stubbe leitet die Stadtredaktion Hagen der Westfalenpost.

Mit den Geflüchteten sind auch ukrainische Journalistinnen nach Deutschland gekommen, wie zum Beispiel Iryna Hornieva aus Krementschuk. Sie arbeitet inzwischen für die Westfalenpost, bloggt und schreibt Glossen. Wie kam es dazu? Jens Stubbe und Marcel Krombusch erzählen die Geschichte.

Die Zusammenarbeit

Die Westfalenpost (WP) und die ukrainische Journalistin Iryna Hornieva, die seit einigen Wochen mit ihren beiden Kindern in Hagen lebt, haben ein gemeinsames Projekt gestartet. Die 33-Jährige aus Krementschuk (südöstlich von Kiew) wird in einer wöchentlichen Glosse im Lokalteil Hagen darüber berichten, wie sie und ihre Familie die neue Heimat erleben.

Außerdem wird sie künftig in einem Online-Blog, der fortlaufend auf der Internetseite der Westfalenpost wächst, darüber schreiben, was ukrainische Flüchtlinge in Deutschland beachten müssen. Ferner begleitet Iryna Hornieva für die WP ukrainische Flüchtlinge, hält fest, was sie in Hagen erleben, und geht mit Redakteuren zu Terminen und Interviews, die etwas mit ihrer Heimat oder dem Leben der Flüchtlinge in Hagen zu tun haben. Die Texte erscheinen im Internet sowohl in deutscher als auch in ukrainischer Sprache und in der Westfalenpost in Print auf Deutsch. Für die Veröffentlichung hat die WP auf ihrer Homepage unter Wp.de/ankommen eine eigene Rubrik eingerichtet.

Schon nach kurzer Zeit lässt sich festhalten, dass diese völlig neue Zusammenarbeit für die Stadtredaktion ein absoluter Gewinn ist. Auf diese Weise landen Beiträge im Netz und in der Zeitung, die ohne Irynas Engagement so nicht entstanden wären. Auch bei Interviews hat sie einen eigenen Blickwinkel auf die Themen, um die es geht. Gleichzeitig wollen wir eine Plattform für Flüchtlinge aus der Ukraine bieten und auf diese Weise auch Familien in Hagen unterstützen, die Menschen aus der Ukraine bei sich aufgenommen 
haben.

Text: Jens Stubbe

Marcel Krombusch ist Redakteur der Westfalenpost.
Marcel Krombusch ist Redakteur der Westfalenpost.

Die Kontaktaufnahme

Jede Geschichte steht und fällt mit den Protagonisten – und der Verständigung. Vor diesem Hintergrund war meine erste Begegnung mit Iryna Hornieva auch die Begegnung mit einer Brückenbauerin.

Rückblick: Es war Anfang März und der erste Schock, den der russische Angriffskrieg ausgelöst hatte, wandelte sich bei den Menschen langsam in Tatendrang. „Wir müssen angesichts des Kriegs in der Ukraine doch etwas tun!“ – diese Haltung beobachtete ich bei vielen Menschen in meinem Umfeld. Ich arbeite als Bezirksreporter in Hagen-Hohenlimburg und hatte gerade über Vadim Plotnikov berichtet. Er ist gebürtiger Ukrainer und lebt seit Jahren in Hohenlimburg. Seiner Heimat ist er aber immer eng verbunden geblieben.
Gemeinsam mit einem Busunternehmen organisierte er einen Hilfstransport. Sie fuhren mit Bussen voller Spenden an die polnisch-ukrainische Grenze, um die vor Krieg und Zerstörung flüchtenden Menschen zu versorgen und geflüchtete Ukrainer mit nach Deutschland zu nehmen. In einem dieser Busse saß auf dem Rückweg auch die ukrainische ­Journalistin Iryna Hornieva. Sie war mit ihren zwei Kindern aus der Stadt Krementschuk in der Zentralukraine geflüchtet. Meine erste Begegnung mit ihr war zugleich meine erste Begegnung mit geflüchteten Ukrainern überhaupt.

Für einen Bericht besuchte ich in Hohenlimburg die Unterkunft, in der die Geflüchteten aus dem Hilfstransport untergekommen waren. Mehr als zwei Dutzend Frauen und Kinder aus der Ukraine – und ich sprach kein Wort Ukrainisch. Hier half Vadim Plotnikov als Übersetzer aus. Und er stellte mir Iryna Hornieva vor, die fließend Englisch sprach. Wir konnten uns also unterhalten, und so wurde sie eine Protagonistin in der Geschichte, die ich über die Unterkunft schrieb. Dass sie Journalistin und damit quasi Kollegin ist, das war für mich im ersten Moment nur ein Randaspekt. Ich wollte ihre Flucht für die Leser nachzeichnen und verstehen, was da gerade in der Ukraine passiert. Als die Geschichte dann in der Westfalenpost erschien, kamen die Kollegen aus der Redaktion auf mich zu: „Wie wäre es, wenn wir Iryna länger begleiten?“

Text: Marcel Krombusch

„Ich habe eine doppelte Verantwortung“

Frau Hornieva, wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Wir mussten mit unseren Kindern vor einem Krieg fliehen, den Russland in unserem Land begonnen hat. Ich habe mich auf den Weg gemacht, als man in meiner Heimatstadt Krementschuk die ersten Raketen hören konnte. Ständig gingen die Sirenen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an die Sicherheit meiner beiden Kinder. Per Zug haben wir es außer Landes geschafft, weiter ging es mit dem Bus. Die Nacht haben wir bei Freunden in Lviv verbracht. Von dort sind wir nach Hagen gelangt. Jetzt leben wir in einer alten Industriellen-Villa im Stadtteil Hohenlimburg, die der Firmeninhaber für Flüchtlingsfamilien hergerichtet hat.

Ist Ihre Familie noch in der Ukraine?

Meine Eltern und meine Schwester und mein Ex-Mann blieben in Krementschuk. Zu der Zeit, als wir gingen, waren sie relativ sicher. Wir haben im Zentrum der Stadt gelebt, wo es keine strategischen Ziele gibt. Aber bis heute wurde meine Stadt zweimal angegriffen. Ein Kraftwerk und eine Raffinerie wurden fast vollständig zerstört. 21 Raketen wurden auf Krementschuk abgefeuert.
Sie haben als Journalistin in der Ukraine gearbeitet. Was waren Ihre Themen?
Ich habe über kulturelle Ereignisse in der Stadt berichtet und Polizei-Nachrichten verarbeitet. Daneben habe ich mich mit Reisethemen beschäftigt, über Soziales geschrieben, über Bildung und Ökologie. Das waren die üblichen Nachrichten in einer friedlichen Zeit in einer nicht allzu großen Industriestadt im Herzen der Ukraine.

Wie unterscheidet sich Ihre journalistische Arbeit in Deutschland davon?

Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass Journalismus mehr als ein Beruf ist. Es geht im Kern darum, Informationen zu bekommen und sie zu teilen. Jetzt teile ich, was ich selbst hier in Deutschland lerne und erlebe und was für andere Ukrainer, die sich hier befinden, hilfreich sein kann. Außerdem teile ich in Kolumnen meine Eindrücke von Deutschland. Man neigt dazu, das Leben zu vergleichen, die Gewohnheiten, die Regeln.

Halten Sie Kontakt zu Kollegen, die sich in der Ukraine aufhalten?

Natürlich stehe ich immer noch in Kontakt mit meinen Kollegen aus Krementschuk. Aber die Charkiwer Ausgabe hat ihre Aktivitäten eingestellt. Denn es gibt im Moment keine technische und finanzielle Möglichkeit, die Arbeit der Redaktion fortzusetzen. Die Stadt wurde völlig zerstört.

Wie ist es, hier zu arbeiten, während in Ihrem Land Krieg herrscht?

Für mich geht es nicht um Arbeit, sondern um die Möglichkeit, den Menschen zu helfen. Also mache ich das, was viele Flüchtlinge ohnehin tun müssen: informieren, recherchieren, helfen. Ich bin Ukrainerin, die Menschen aus der Ukraine sind mein Volk. Also arbeite ich auch hier in Deutschland für Ukrainer, um es ihnen in einem freundlichen, aber fremden Land zumindest ein wenig leichter zu machen. Gleichzeitig hoffe ich, dass meine Texte auch für deutsche Leser interessant und nützlich sein werden. In diesem Sinne habe ich eine doppelte Verantwortung.

Interview: Stefan Wirner

Link

Hier geht es zu den Texten von Iryna Hornieva

Dieser Beitrag erschien zuerst in der drehscheibe 07/2022

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