Diskussion

Wie frei ist die Presse im Lokalen?

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Foto: cbies/Fotolia

„In Deutschland ist die Pressefreiheit eine Selbstverständlichkeit!“ Wer so denkt, hat die Probleme übersehen. Denn die Pressefreiheit wird nicht nur von Diktaturen und Zensur bedroht. Es gibt unterschiedlichste Mechanismen, die Journalistinnen und Journalisten dazu bringen können, nicht das zu schreiben, was sie denken. Gerade im Lokaljournalismus gibt es das Problem von Nähe und Distanz. Wer schreibt einen kritischen Kommentar über einen wichtigen Anzeigenkunden? Wer kritisiert gerne den Bürgermeister, den man schon seit Jahren von diversen Veranstaltungen kennt und schätzen gelernt hat? Wir wollten anlässlich des Tags der Pressefreiheit am 3. Mai von Chefredakteuren und Redaktionsleitern wissen, wie es um die Pressefreiheit im Lokajournalismus wirklich bestellt ist.

Polizeipressestellen mauern, Rathäuser verweigern Antworten

Stefan Lutz

Journalisten haben sich schon immer dagegen wehren müssen, dass auf sie Einfluss von außen ausgeübt wird. Da kann man durchaus souverän bleiben, und wenn man sein Handwerk blitzsauber beherrscht, gelingt das auch. Im Lokalen sehen wir uns aber zunehmend der Herausforderung ausgesetzt, dass unser Handwerk behindert wird. Verblüffenderweise ausgerechnet von Seiten staatlicher Institutionen: Polizeipressestellen mauern, Rathäuser verweigern trotz Auskunftspflicht Antworten, Landratsämter verschweigen wichtige Zahlen. Pressestellen lassen Informationen nicht fließen, sondern halten sie zurück. Ich empfinde das als aktive Behinderung der Arbeit der freien Presse. Wenn man das zuspitzen möchte, dann sind das durchaus Angriffe auf die Pressefreiheit. Ich bin da sensibel und denke, dass Journalisten sich gegen diese Behinderungen aktiver zur Wehr setzen sollten, als ich es vielfach beobachte.
 
Stefan Lutz, Chefredakteur Südkurier (Konstanz)

Drohungen mit Anzeigen-Stornierungen

Sabine Schicketanz

Berichten, was ist. Das ist Aufgabe von Journalisten. Das geht nur, wenn die Pressefreiheit ohne Beschränkung gewährleistet ist. Im Großen, aber selbstverständlich ebenso im (vermeintlich) kleinen Lokalen. Dort sind Freiheit und Unabhängigkeit von Journalisten für Leser und Nutzer besonders gut nachzuvollziehen und zu beurteilen – und die Anforderung, die Pressefreiheit zu nutzen, ist besonders groß. Nähe, wirtschaftlicher oder sozialer Druck, falsch interpretierter Lokalpatriotismus, die Geringschätzung des lokalen Mediums, das „so etwas gar nicht berichten darf“, Drohungen mit Abo-Kündigungen und Anzeigen-Stornierungen: Es gibt stetig Szenarien, die es erfordern, Pressefreiheit im Lokaljournalismus ganz praktisch und in demokratischer Graswurzelarbeit durchzusetzen. Nur, wenn lokale Medien dies konsequent und immer mutig tun, bewahren sie ihre Glaubwürdigkeit, rechtfertigen das Vertrauen ihrer Leser und Nutzer und erfüllen ihre Rolle in der Demokratie.

Sabine Schicketanz, Chefredakteurin Potsdamer Neueste Nachrichten

Stärkerer Druck auf Journalisten

Holger Knöferl

Pressefreiheit bedeutet auch im Lokalen, dass die Presse frei ist in ihrer Entscheidung darüber, worüber sie berichtet. Das klingt zunächst banal, gewinnt in Zeiten von Parallel-Öffentlichkeiten in Sozialen Medien aber dramatisch an Bedeutung. Denn von hier aus entsteht ein zunehmend stärkerer Druck auf Journalisten in der Frage, worüber sie eigentlich zu berichten hätten. Dem müssen wir widerstehen, mit der Pressefreiheit im Rücken.
 
Holger Knöferl, stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Heimatredaktion der Badischen Zeitung (Freiburg)

Konfliktfähigkeit muss geübt werden

Uwe Röndigs
Uwe Röndigs

Reden wir über die Pressefreiheit, reden wir in aller Regel über Einzelkämpfer-Kollegen in Kerkern, über Kleinkriege mit Dorfkönigen, wir reden vielleicht über gewaltige oder schmeichelhafte Einflussnahmen auf die Berichterstattung. Dann fühlen wir uns an Situationen erinnert, in denen Drohungen jedweder Art ausgesprochen werden, um unliebsame Nachrichten zu verhindern. Und wir sind vielleicht stolz auf die Kerben im Colt, an denen die überstandenen Konflikte ablesbar sind.

Aber die Sicht greift zu kurz: Pressefreiheit im Lokalen muss neu erarbeitet und erstritten werden. Konfliktfähigkeit muss geübt und ausgeübt werden. Überspitzt formuliert: 70 Prozent der Berichterstattung braucht keine Pressefreiheit, weil sie Verlautbarung ist. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, das Kant-Wort hat immer noch – auch für Journalisten – Bestand. Recherche ist das A und O. Ein weiterer Aspekt: Pressefreiheit braucht die Redaktion als verantwortungsbewusste Einheit. Sie muss ihre gesellschaftliche Aufgabe erkennen und erfüllen. Brechen redaktionelle Strukturen in Netzwerken weg, kann es zur Verantwortungsdiffusion kommen. Keiner ist mehr zuständig. Und ein Letztes: Gesellschaftliche Prozesse – wie zum Beispiel die Diskussion um Flüchtlingen und Gewalt in Deutschland – verändern Rahmenbedingungen unserer Arbeit. Stehen wir die Diskussionen um Toleranz und Diskriminierung auch in Richtung Leserschaft durch? Schreiben wir auch hier, was wir denken?

Uwe Röndigs, Chefredakteur Zeitungsgruppe Lahn-Dill

Das Grundgesetz ist stark

Heike Groll

Wir Journalisten können unseren Beruf in Deutschland so frei, unabhängig und geschützt ausüben wie in wenigen anderen Ländern. Das sollte Lokaljournalisten umso mehr ermutigen, das zu tun, was ihre Aufgabe ist: Hinhören, was die Menschen bewegt, gründlich und fair nach allen Seiten hin recherchieren, Gutes gut und Schlechtes schlecht nennen. Und dafür – auch das bedeutet Pressefreiheit – öfter mal auf harmlose Allerweltsgeschichten verzichten, die keinem wehtun. Weniger Chronistenpflicht, mehr Relevanz: wir sehen jedes Jahr beim Deutschen Lokaljournalistenpreis, dass dies im Lokalen sehr wohl und sehr erfolgreich geht. Klar, es ist nicht angenehm, wenn die scharf kritisierte Bürgermeisterin sauer auf einen ist oder der umstrittene  Unternehmenschef mit Anzeigenentzug droht. Das Grundgesetz ist allemal stärker.

Heike Groll, Leitende Redakteurin in der Chefredaktion Volksstimme,
Sprecherin der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung

Kontrollorgan sein ist eine Daueraufgabe

Michael Seidel
Michael Seidel

Medienkompetenz ist leider nicht sehr verbreitet. Gerade im Lokalen stoßen Journalisten oft auf Verweigerung, werden als Nestbeschmutzer geächtet, weil selbst Grundkenntnisse über die Rolle der Presse fehlen – wie etwa, dass sie nicht „vom Himmel gefallen ist“  oder sich selbst ermächtigt, sondern eine öffentliche Aufgabe nach Landespressegesetz erfüllt. Gerade im Lokalen, insbesondere in kleinen, ehrenamtlich geführten Kommunen, kann der Wert einer freien, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkten, keiner Zensur unterworfenen Presse als Wesenselement des freiheitlichen Staates nicht oft genug betont werden. Zu vermitteln, dass wir Zeitungen zwar als „Verbindungsorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern“ (Spiegel-Urteil) dienen, aber eben auch als Kontrollorgan, ist eine Daueraufgabe. Die muss natürlich durch journalistische Sorgfalt und Ausgewogenheit der Berichterstattung gestützt werden. Zu oft aber wird der Presse noch die Rolle des Öffentlichkeitsarbeiters für Kommunen, aber auch für Verbände, Kammern und auch Unternehmen zugeschrieben. Das beharrlich zu verändern, ist letztlich eine Existenzfrage für jeden Journalisten!
 
Michael Seidel, Chefredakteur Schweriner Volkszeitung

Rückendeckung der Verlagsspitze unerlässlich

Jörg Jung
Jörg Jung

Wer besondere Freiheiten hat, muss mit diesen verantwortungsbewusst umgehen. Dies gilt im Fall der Pressefreiheit nicht nur hinsichtlich der Sorgfaltspflicht der Redakteure. Der verantwortungsbewusste Umgang besteht auch darin, dass die Pressefreiheit zum Nutzen der Bevölkerung möglichst voll ausgeschöpft wird. Das heißt unter anderem, dass Missstände in Behörden aufgedeckt werden. Um dies zu leisten, hat die Böhme-Zeitung zwei investigative Reporter fest angestellt, wovon einer zugleich Mitglied der Redaktion von Correctiv ist. Diese beiden investigativen Reporter arbeiten ausschließlich an langfristigen Themen.

Damit die Redaktion die so verstandene Pressefreiheit auch umsetzen kann, ist die Rückendeckung der Verlagsspitze unerlässlich. Es kommt nicht selten vor, dass sich betroffene Personen bei unserem Verleger über Berichte beschweren. Doch dieser verweist in solchen Fällen darauf, dass ich der richtige Ansprechpartner bin – eine Haltung, die gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Jörg Jung, Redaktionsleiter Böhme-Zeitung

Fehlende Informationsfreiheit in Niedersachsen

Lars Reckermann
Lars Reckermann

Die Pressefreiheit ist von unschätzbarem Wert. Gerade Lokaljournalisten, die tagtäglich ihre Gesprächspartner auf der Straße treffen, müssen wissen, dass ihre Chefredaktion und ihr Verlag ihnen den Rücken freihalten. Die Redakteure müssen aber auch wissen, welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen. Es gibt Landespressegesetze. Dass indes das Informationsfreiheitsgesetz in Niedersachsen nicht greift, ist gelinde gesagt ein Skandal. Hier müssen wir deshalb unserem Leser offensiv dokumentieren, welche Fragen wir gestellt haben, auf die es keine Antworten gab.

Zudem: Die Pressestellen rüsten auf. Viele haben inzwischen Social-Media-Experten und/oder Videoteams und beherrschen die Nachrichten-Klaviatur recht gut. Lokaljournalisten müssen anecken und notfalls auch unbequeme Wahrheiten aufschreiben. Wir sind nur der Wahrheit verpflichtet. Dass wir aber alle Meinungen zu einem Thema, jeden Streit und jede kontroverse und (am besten) konstruktive Diskussion in den Zeitungen abbilden und dem Leser dadurch ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden, zeigt die Bedeutung der Pressefreiheit. Es gibt zwar immer wieder Situationen, in denen Gesprächspartner fragen, ob dieser Text nun wirklich geschrieben werden muss. Das war bei mir aber noch nie eine Situation, in der ich die Pressefreiheit bedroht sah.
 
Lars Reckermann, Chefredakteur Nordwest-Zeitung (Oldenburg)

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