Interview

„Sprechen Sie mit den Menschen!“

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Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. (Foto: Martin Scherag)
Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. (Foto: Martin Scherag)

Dem Lokaljournalismus komme im Jahr der Bundestagswahl eine besondere Bedeutung zu, meint bpb-Präsident Thomas Krüger. Er sei die Plattform für Debatten und stärke so den Meinungsaustausch und die Demokratie.

Herr Krüger, eine Bundestagswahl mitten in der Pandemie. Sehen Sie Anlass zur Skepsis, was die Durchführung der Wahl betrifft?

Die Bundestagswahl ist nicht die erste Wahl in dieser Pandemie. Bis September 2021 haben bereits einige Landtagswahlen und Wahlen auf kommunaler Ebene stattgefunden. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg war die Wahlbeteiligung nur geringfügig niedriger als vor fünf Jahren. Viele Menschen haben eben diesmal per Brief gewählt statt im Wahllokal. Auch die USA haben vorgemacht, dass landesweite Wahlen in dieser Pandemie reibungslos möglich sind. Dort haben zur US-Präsidentschaftswahl mehr als 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler das sogenannte Early Voting genutzt. Sicher werden die Briefwahl und die Aufklärung darüber eine größere Rolle spielen als in den vergangenen Jahren, aber insgesamt sehe ich keinen Grund zur Skepsis. Wichtig ist, dass es ausreichend Informationsangebote gibt, damit keine Unsicherheit oder Unklarheit herrscht, welche Möglichkeiten man hat, seine Stimme trotz Corona sicher abzugeben.

Eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf wird der Umgang mit der Pandemie sein. Glauben Sie, dass das Vertrauen in die Politik in den vergangenen Monaten brüchiger geworden ist?

Derzeit trifft die Politik jeden Tag Entscheidungen, die unser Leben stark beeinflussen. Dadurch wird für die Bürgerinnen und Bürger die Frage, wer uns regieren soll, noch relevanter. Wir erleben bei den Konferenzen der Länder mit der Bundesregierung, dass sich zwar auf eine gemeinsame Linie geeinigt wird, aber im Nachhinein jedes Land das anders umsetzt. Daneben kreist die Debatte, dass in einer parlamentarischen Demokratie eben das Parlament in Entscheidungsfindungen in seiner Breite beteiligt sein muss. Wir laufen einen Marathon, die Zielgerade ist in weiter Ferne, und die Puste geht allen so langsam aus. Wie sich diese Resignation und Unzufriedenheit bei den Wahlergebnissen oder bei der Wahlbeteiligung auswirken, ist im Moment unabsehbar. Doch mit der unmittelbaren Auswirkung von politischen Entscheidungen auf unser Leben steigt der Wille, sich mit politischen Diskussionen, Parteien und Wahlen auseinanderzusetzen. Umso wichtiger ist es, dass Parteien und Politiker ihre Entscheidungen gut erklären und dass die politische Bildung und der Journalismus Zusammenhänge herstellen.

Wo verläuft die Grenzlinie zwischen möglicher Kritik an bestimmten Maßnahmen oder unzureichendem Management der Krise und dem Schüren von antidemokratischen Ressentiments?

Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sind eine Einschränkung von Grundrechten und damit ein tiefer Eingriff in unser aller Leben. Das muss mindestens diskutiert werden. Und es ist auch legitim, Kritik daran zu äußern. Ich erwarte eine Bereitschaft, abzuwägen zwischen gesellschaftlichen und individuellen Freiheiten und dem Schutz der Gesundheit. Wir müssen uns bei diesen Diskussionen gegenseitig zuhören. Ich beobachte, dass derzeit viele Leute, die auf Corona-Demos das Grundgesetz hochhalten, sich Gegenargumente teils aggressiv verbitten. Das stellt ein großes Problem dar.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass populistische oder extreme 
Parteien stärker werden als vorher?

Wir erleben zurzeit eine wachsende Polarisierung, und das müssen wir ernst nehmen. In demokratischen Gesellschaften geht es immer mal hoch und runter, es gibt mal mehr und mal weniger Aufregung. Aber die Gefahr derzeit ist, dass die klassischen Institutionen ihre Bindekraft verlieren, wenn bei Menschen das Vertrauen in Politik, Wissenschaft und Medien zurückgeht. Und wenn da etwas ins Rutschen kommt, wird die Polarisierung zunehmen. Nichtsdestotrotz ist eben das Grundgesetz der Grundpfeiler unserer Demokratie. Dann wiederum liegt es an einer starken Zivilgesellschaft, Journalisten und politischen Bildnern, diesen Pfeiler aufrechtzuerhalten. 
Gerade Lokalzeitungen spielen eine wichtige Rolle, denn sie bieten die Plattform, auf denen Debatten geführt und Argumente ausgetauscht werden, wo Meinungsfreiheit gelebt wird. Noch wichtiger als sonst sind in diesem Jahr neben seriöser Argumentation Dialogformate, die die Menschen zusammenbringen. Egal ob digital oder analog: Die Lokalzeitung kann ihren Leserinnen und Lesern eine Stimme geben und beugt so dem Abgleiten in Populismus und Frustration vor.

Mit Klick aufs Bild zum Schwerpunkt Bundestagswahl der bpb.
Mit Klick aufs Bild zum Schwerpunkt Bundestagswahl der bpb.

Die Parteien arbeiten inzwischen selbst verstärkt mit digitalen Formaten, streamen und sind in den sozialen Netzwerken unterwegs, teilweise kommen Veröffentlichungen wie journalistische Beiträge daher. Ist das eine Gefahr für die journalistische Berichterstattung?

Je aktiver Parteien in sozialen Medien unterwegs sind, umso größer wird das Interesse der Menschen an der Politik vor Ort. Und umso wichtiger wird die Rolle der Lokalzeitung, die die einzelnen Diskussionsbeiträge zusammenführt und einen Ort für die Debatte bildet. Gute Lokalberichterstattung zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur über die aktuelle Politik vor Ort berichtet, sondern einzelne Positionen und Argumente analysiert. Ich sehe in dieser Entwicklung für die Medien weniger eine Gefahr als eine Herausforderung. Hölderlin sagt: Wo aber Gefahr ist/ wächst das Rettende auch. Bestehende Muster müssen immer wieder durchdacht werden. Wie erreichen wir unsere Zielgruppe und was interessiert die Leserinnen und Leser? Was ist der Vorteil gegenüber anderen Quellen? Wenn man sich dieser Herausforderung stellt, kann man nur gewinnen.

Welche anderen Themen werden Ihrer Meinung nach im Wahlkampf eine Rolle spielen? Was sollten Lokalzeitungen unbedingt auf dem Zettel haben?

Organisationen wie „Fridays for Future“ haben mit ihrer Stimme dafür gesorgt, dass der Klimaschutz bei den meisten Parteien ein elementares Thema im Wahlkampf sein wird. Trotz der Pandemie sind die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht weniger relevant. Gleichzeitig werden auch die Folgen der Pandemie den Wahlkampf prägen. Der Datenreport 2021 hat gezeigt, dass die Auswirkungen des vergangenen Jahres die soziale Ungleichheit in Deutschland verstärkt haben. Der Anteil an dauerhaft von Armut bedrohten Menschen beträgt inzwischen 44 Prozent. Oder denken Sie an das Thema Digitalisierung der gesamten Gesellschaft und insbesondere in den Schulen. In der Pandemie wurde klar, dass es viele Baustellen gibt, die jahrelang nicht im Fokus der Öffentlichkeit standen. Dementsprechend wird der Wahlkampf von Themen geprägt sein, die die Menschen in ihrer Lebensrealität direkt berühren. Machen Sie als Lokalredaktion also genau das, was Ihre Stärke ist: Gehen Sie raus, sprechen Sie mit den Menschen und erzählen Sie die Geschichten von lokalen Sorgen und Nöten. Interessant wäre sicher auch eine Umfrage unter Leserinnen und Lesern, um herauszufinden, was ihre wichtigsten Themen für die Bundestagswahl sind. Aus den Antworten lassen sich sicher viele spannende Artikel entwickeln.

Was würden Sie sich in diesem Wahljahr von Zeitungen besonders wünschen? Worauf sollten sie unbedingt achten?

Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten sind Kommunikatoren, Moderatoren und kritische Betrachter von abstrakten politischen Zusammenhängen, die für Menschen oft nicht greifbar sind. Ich wünsche mir von ihnen, dass sie Kontext liefern zu all den politischen Ereignissen, die sich zurzeit überschlagen. Gleichzeitig muss all denen eine Stimme gegeben werden, denen wir in den zurückliegenden Jahren nicht genug zugehört haben. Ungleichheiten müssen benannt und Lösungen diskutiert werden. Ich habe derzeit den Eindruck, dass bei politischen Kontroverseren häufig die „Gegenposition“ diskreditiert wird. Es ist wichtig, dass Lokalzeitungen eine Meinungsvielfalt darstellen und somit die ­Demokratie fördern.

Welche Aktivitäten plant die bpb im Wahljahr?

Die Menschen sollen sich vor der Bundestagswahl bestmöglich informieren und sich ihre eigene Meinung bilden können – faktenbasiert. Es geht darum, den Wählerinnen und Wählern das vornehmste Beteiligungsrecht, das Wahlrecht, so schmackhaft wie möglich zu machen. Wir werden die ganze Palette politischer Bildung ausrollen und unsere Inhalte so zu gestalten und zu platzieren, dass sie die Menschen erreicht. Der Wahl-O-Mat startet zum Superwahljahr mit neuen Funktionen wie dem Tuning oder dem Parteienvergleich. Darüber hinaus wird es eine Themenseite und eine Vielzahl an Informationsangeboten geben. Wir freuen uns, wenn viele Lokalzeitungen über die neuen Funktionen des Wahl-O-Mats berichten, ganze Redaktionen das Tool durchspielen und über ihre Erfahrungen berichten. Das ZDF hat neulich den Wahl-O-Mat mit zwei Gästen live in einer Sendung durchgespielt – das war politische Bildung zum Anfassen und motiviert zum selber ausprobieren!

Interview: Stefan Wirner

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