Storytelling Februar 2014 Kommentar

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

Überzeugend inszeniert: Die Heldenreise einer Volontärin

Der äußeren Handlung der Reise durch Bad Lippspringe entspricht die innere Entwicklung der Protagonistin. Von Marie Lampert

Aufbruch ins Abenteuer


Miriam Scharlibbe bricht auf in die Region, sie verlässt die vertraute Redaktionsstube, um das Wesen Bad Lippspringes zu erforschen. Nach ihrer Rückkehr wird sie ihre Erkenntnisse mit den Lesern teilen. Das ist, was Helden tun: Sie brechen auf ins Ungewisse, weil sie eine Aufgabe lösen oder die Antwort auf eine Frage finden müssen. Sie gehen los, um etwas Neues in ihre alte Welt zu bringen und persönlich zu reifen. Das Muster der Heldenreise ist damit schon ins Konzept der Serie „Volltreffer“ eingeschrieben (mehr dazu im Making of).

Sechs Stationen


Die Reporterin erzählt von sechs Stationen ihrer Reise. An all diesen Orten trifft sie jeweils eine Figur, die sie über eine Handlung vorstellt. Eine Ausnahme bildet die Salzgrotte, die Frau, die  dort fegt, wird nur in der Bildunterschrift erwähnt. Brigitte Seibold hat den Weg in ihrer Zeichnung mit ausgewählten Stationen dargestellt. Den Höhepunkt der Reise bildet die Begegnung mit der alten Malerin. Hier ist die junge Abenteuerin am Ziel.

Orte, Personen und Handlungen



1.    Odins Quelle: Sigrid Floral vom Bürgerservice empfiehlt sich als Begleiterin, stellt den Schwan Lohengrin vor (in Absatz 2).
2.    Fußgängerzone: Sigrid Floral wird zum Dorfsheriff und vermittelt die Begegnung mit Margret Botschen-Thombansen (Absatz 3 und 4 ).
3.    Kurpark: Friedhelm Bendix, der Gärtner, schaufelt Blätter (Absatz 5).
4.    Liboriusquelle: Michele Dresdner, Logopädin, zapft mutmaßlich heilendes Wasser (Absatz 6).
5.    Salzgrotte: Petra Ellermann fegt (das steht in der BU). Die Autorin ruht aus. Ein retardierendes Moment vor der zentralen Begegnung (Absatz 7).
6.    Die Wohnung der Malerin: Margret Botschen-Thombansens erzählt Miriam Scharlibbe aus  ihrer Lebensgeschichte. (Absätze 8 – 14).

 

Die Protagonistinnen



Die junge Abenteuerin begegnet dem Archetyp der „weisen Alten“ in Person der Gastgeberin, diese Begegnung entwickelt sich zum Elixier für beide. Die „weise Alte“ verkörpert in Märchen und Träumen das Leitbild für Klärung, Orientierung und Sinn. Sie kann große Zusammenhänge übersehen und die Essenz ihrer Erfahrung an Jüngere weitergeben. Die Autorin gibt sie in Zitatform weiter.
Man könnte die Geschichte auch so lesen: Die Protagonistinnen reichen sich den Staffelstab. Die Übergabe hat sogar einen Ort: Die Mädchenschule, die beide besucht haben. Die Abenteuerreise der jungen Frau durch Bad Lippspringe endet in der Mitte des Textes. Im Haus der 89-Jährigen angekommen, nimmt sie sich zurück und bringt mit ihren Fragen und ihrer Anteilnahme die Lebens- und Abenteuerreise der alten Frau ans Licht.

 

Sagen- und Märchenhaftes



Der Aufbruch der Autorin weckt Assoziationen an das Märchen von einer, die auszog... Miriam Scharlibbe verdichtet das Märchenhafte. Sie erzählt die Sage vom Göttervater Odin. Sie schreibt von heilenden und heiligen Orten, von Grotten und Quellen. Latent religiöse Symbole durchziehen den Text: der Messwein, heilendes Wasser, der schwarze Schwan (in der Antike ist ein weißer Schwan Symbol der Reinheit, später auch ein Christussymbol).
Die Fotos von Jörg Dieckmann verstärken diese Symbolik. Im Hintergrund zeigen sie den Turm der St. Martinskirche, den heilige Liborius in der Quellenkapelle, die Kosmosbilder von Margret Botschen-Thombansen. Die spricht sogar ausdrücklich von ihrer Religiosität: Sie ist nach langem Ringen aus der katholischen Kirche ausgetreten, folgt aber weiterhin den Gottesdienstübertragungen am Radio. Eines ihrer Attribute ist der Messwein.

 

Der Fokus



Miriam Scharlibbe traut ihrer Wahrnehmung. Ihr stärkster Eindruck ist die Begegnung mit Botschen-Thombansen, und sie traut sich, diesen Eindruck ins Zentrum ihres Textes zu stellen. Das kann sie, weil ihre Protagonistin eine Heimkehrerin nach Bad Lippspringe ist. Die Ebene der Begegnung zwischen der Alten und der Jungen ist eine wunderbare Dreingabe, die die Relevanz der Geschichte vom Regionalen ins Allgemeine hebt. Mit ihrer Reflexion über den Zufall steuert die Autorin diese Ebene schon im ersten Absatz an.

 

Der Fluss der Geschichte

 

Der Text fließt munter wie die Lippe auf dem Foto. Die Verben machen Tempo: herausreißen, segnen, toben, drängen, schwimmen. Auftritt Lohengrin. Auftritt Frau Floral. Schwan-Arthrose-Bekämpfung mittels Mais. Vor allem aber fließt der Text, weil die Autorin die Sprünge von Station zu Station geschickt gestaltet. Zwischen Absatz 4 und 5 vermittelt Frau Floral. Touristen helfen beim Übergang vom Park zur Liboriusquelle (Absatz 5 zu 6: „Bäume ... locken schließlich Touristen an, genauso wie die Liboriusquelle“). Die alte Dame kennen Leser schon aus dem Lead und dem ersten Absatz (bis dahin namenlos) bevor sie im vierten Absatz namentlich vorgestellt wird, und ab der Hälfte des Textes (Absatz 8) ganz das Regiment übernimmt.

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

Marie Lampert arbeitet selbständig u. a. für die ABZV als Dozentin, Seminarleiterin und Redakteurin. Sie betreut den Werkraum Storytelling der ABZV. Im Jahr 2012 erschien ihr Lehrbuch „Storytelling für Journalisten“ in zweiter Auflage (Co-Autor: Rolf Wespe). www.marielampert.de

Kommentare

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.