Storytelling März 2014 Making-of

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

„Der Schlüssel ins Herz des Lesers“

Wie aus Branchenzahlen eine Geschichte wird, die das dringende Bedürfnis erzeugt, in die nächste Familienbäckerei zu stürzen.

Herr Schlicht, wie kommt das Thema ins Blatt?

Der aktuelle Anlass sind die Branchenzahlen des Bundesverbandes. Da gab es eine Hochzahl, dass bis 2020 vier von zehn Betrieben verschwunden sein werden und dass Industriebäckereien zunehmend Familienbetriebe verdrängen.

Ich habe dem Text entnommen, dass Familienbäckereien durchaus überleben können – wenn denn die Leser deren Brötchen kaufen.

Das steht auch drin. Aber die Recherche ging zuerst in eine andere Richtung. Ich wollte das Sterben von Bäckereien publizistisch begleiten. Und dann fand ich die Geschichte spannender, wer gegen den Trend anhält. David gegen Goliath, kleine Unternehmen gegen die Industriebäckereien.

Dafür haben Sie ideale Protagonisten gefunden. Wie haben Sie das angestellt?

Wir haben als Regionalzeitung viele Lokalredaktionen, die sind wichtige Verbündete bei solchen Recherchen. Ich hab den Kollegen Rundmails geschrieben und um Hinweise gebeten. Da hab ich dann den einen oder anderen Tipp bekommen. Die waren durchaus privater Natur. Die Kollegen sind ja auch Brötchenesser.

Ihr Personal besteht aus zwei Bäckermeistern und einem Verbandsfunktionär. Was waren ihre Überlegungen beim Anordnen der drei Teile?


Ich fang bewusst mit dem älteren Meister Rode an, dessen Geschäft  diesen 70er-Jahre Charme hat. Denn das ist genau das Bild, das die Leser von ihren Fahrten über die Dörfer kennen, und wo der erste Gedanke eher ist: Na, wie lange es den wohl noch gibt. Der ist der Kontrast zur modernen, trendigen Backbar in  – sagen wir – Hamburg. Rode ist am anderen Ende des Spektrums. Man könnte denken, das ist der sterbende Betrieb. Aber nee, das ist nicht so.

Dann wird es erst mal trocken.

Der Mittelteil ist die bittere Pille, die man dem Leser zu schlucken gibt. Da kommt der Verbandstyp, der gibt die Basisinfos. Und der witzigen Part, das Neue, wie man Brötchen etwas anders bekommt, kommt zum Schluss. So versuche ich den Leser bis ans Ende des Textes zu führen.

Sie treten bei den aktiven Bäckern als Reporter stärker in Erscheinung, da ist mehr Witz in der Sprache und Engagement in der Haltung. Könnte man nicht auch den Leuten, die Fakten vermitteln, mehr Farbe geben?

Sie haben Recht, das finde ich hier auch verbesserungswürdig. Es ist aber ein Zeitproblem. Die Verbandsleute hat man am Telefon oder recherchiert im Internet, man sieht sie nicht. Aber ideal wäre gewesen, wenn ich den in seinem Verbandsbüro besucht hätte, und ihm in der Erzählsprache die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet hätte.

Ihr szenischer Einstieg ist ausgesprochen schmackhaft.

Ich wollte diesen sinnlichen, fast kindlichen Einstieg, mit Kuchen und der frischen Schokolade. Den Leser an die Hand nehmen und sagen: Das ist doch das Wesentliche, wie der Streuselkuchen dampft, und nicht, wie der Laden von außen aussieht. Der Leser wird sinnlich in das Thema reingezogen. Und bewusst mit einem Vertreter der Zunft, der als sterbender Betrieb erscheint. Der aber sagt: Nee, das ist gar nicht so schlimm. Er begründet das mit Zahlen und seinen Filialen. So wird der Leser gleich überrascht. Ich denke mir, dass er dann eher dabei bleibt.

Was genau bezwecken Sie mit der Idee vom  „kindlichen Einstieg“?

Ich versuche, den Leser bei seinen Wunschbildern abzuholen. Die sind gekoppelt an Genuss. Die sind nicht verbunden mit einem abgepackten Rührkuchen aus dem Supermarkt. Genuss stellt sich anders her. Die Erinnerung an die Mutter, wie die den Kuchen backte, und wie das roch – das ist, wonach wir uns sehnen. Damit kriegt man den Leser. Wenn er sich an Mutters Kuchen erinnert, an den Geschmack, nimmt er die Information anders wahr  – authentischer, weil sie mit einer eigenen Erfahrungswelt verbunden sind. Wer diese Erinnerung hat, ist doch sein ganzes Leben lang ein bisschen ein Back-Experte.

In Ihrem Text gibt es nur diese eine Szene. Die schmeckt nach mehr, aber es gibt nicht mehr. Warum nicht?

Das ist eine Platzfrage. Wir haben bestimmte Umfänge, und die szenische Darstellung nimmt immer Platz weg. Für mich sind Informationen wichtig. Ich habe Angst, den Leser zu verlieren. Ich möchte ihn nicht langweilen, sondern entlohnen mit Informationen. Er soll was kriegen für sein Geld.

Sie denken also immerzu an den Leser?

Ja doch.

Warum ist dann der Schluss so gemein?

Der war fies, ja. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz. Man will natürlich wissen, wie macht er seine Brötchen? Aber ich glaube, man ist als Leser auch ein bisschen glücklich, dass es nicht drin steht. Denn im tiefsten Inneren will man gar nicht wissen, wie der das macht. Da geht ja auch ein Stück Zauber verloren. Bei meinem Ausstieg entsteht diese Gemeinsamkeit zwischen Leser und Autor: Ich könnte das jetzt erzählen, aber ich erzähl es euch nicht. (Flüstert ins Telefon) Das ist doch gar nicht wichtig! Es gibt sie, und sie sind fantastisch! (Wieder lauter) Das baut eine Brücke zwischen Leser und Autor, die am Ende auch sehr charmant ist.

Die Fotos sind erkennbar inszeniert. Was war ihr Plan?

Ich wollte den morbiden Charme des alten Bäckereigeschäftes zeigen, diese graue Fassade, die knallgelbe Schrift, diese Stühle. Das Dörfliche. Und ich möchte den Menschen im Mittelpunkt haben. Ich möchte, dass die Leute dem Mann in die Augen sehen oder der Frau. Und hier ist der Widerspruch gelungen: Der triste Hintergrund und das lebensbejahende Gesicht, der Gestus von Bäcker Rode. Es war gar nicht einfach, dass er mir vertraut und richtig guckt, und dann musste ich ja auch den Autoverkehr abwarten. Auch das obere Foto ist ganz klar inszeniert.  Ich wollte die Brötchen zeigen. Denn jeder, der diese Brötchen sieht, weiß sofort: Das sind die Brötchen, die wir früher hatten!

Ihre Präsenz als Autor fällt auf. Warum schreiben Sie sich so deutlich ein?

In dem Fall bot es sich an. Es ist wichtig, dass der Autor sich einbringt, sonst wird der Text nicht lebendig. Dabei geht es natürlich nicht um Selbstdarstellung.

Sondern? Wie verstehen Sie Ihre Rolle?

Ich bin ein Transporteur. Ich hab einen Auftrag, eine Idee, ich sammle Infos. Am Ende einer Recherche frage ich mich: Was ist für mich persönlich am Beeindruckendsten? Was ist für mich das Wichtigste? Am Schluss muss ich die Frechheit haben, zu sagen: Ich wähle aus. Das ist wert, es zu erzählen. Und es obliegt der Verantwortung des Journalisten, im Sinne seines Lesers oder Zuhörers diese Entscheidung zu treffen.

Hat Ihnen eigentlich niemals jemand beigebracht, dass der Leser keine Ironie versteht? Ich hab das im Volontariat und später x-mal gehört.

Nee! Wissense was? Jetzt hab ich wirklich mal einen Spruch: Der Humor ist der Schlüssel in das Herz des Lesers. Klingt jetzt geschwollen. Wenn es eine Erfahrung gibt, die ich in meinem Leben gemacht habe, dann die: Wenn wir etwas charmant und mit Ironie und mit Freude am Leben vermitteln, auch wenn es um Konflikte geht – wird das der Leser mit Treue danken.

 

Das Interview führte Marie Lampert.

Kommentare

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.