Storytelling März 2014

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Handwerk hat immer noch Zukunft

Der Innungsverband schlägt schon mal die Totenglocken für Einzelbäckereien. Oliver Schlicht setzt dem Geläut zwei quietschlebendige Bäckermeister entgegen. Er bezirzt sein Publikum mit allerlei Mitteln. Eines davon, durchaus umstritten, ist für ihn Schlüssel ins Herz der Leser. Welches, das ist verrät er im Making-of. Aus der Magdeburger Volksstimme vom 26. Oktober 2013.

Bäckereikrise: Die gegen den Trend anbacken

(Die Überschrift verspricht Krise, Helden und Widerspruch.)

 

Der Bundesverband der Großbäckereien rechnet mit einem Bäckereisterben (schön drastisch) – doch nicht alle sind so pessimistisch. Kostenanstieg, Preiserhöhungen, kein Nachwuchs – die Totenglocke (dramatisierendes Bild) für das Bäckereihandwerk läutet vernehmlich. Stimmt so nicht, sagen erfolgreiche Bäcker. Und kämpfen tapfer mit Brötchen und Streuselkuchen wie David gegen Goliath (Der ironische Ton schafft Kontrast zur Dramatik). Von Oliver Schlicht


Magdeburg. Dorfstraße Jerichow. Läden gibt es hier kaum noch. Die Jerichower fahren in die Stadt zum Einkaufen. Halt! Ein wackerer Kämpfer an der Shoppingfront hat überlebt: Knallig-gelb mit roter Schrift auf grauem Grund (filmischer, asterixmäßiger Einstieg): „Rode Bäckerei & Konditorei“. Draußen Fahrradstand, drinnen 1970er-Jahre-Kacheln und eine Ladentheke fast wie früher im Konsum. Aber der Blechkuchen schmeckt so gefährlich gut, dass man gleich alle Sorten durchprobieren möchte. Und dann die Dominosteinchen erst. Da ist heute die schwarz-braune Schokolade noch nicht ganz trocken (Zoom aufs Detail) – böse, böse (Me too: Der Autor holt die Leser an seine Seite).


Bäckermeister Ulrich Rode, 59 Jahre jung, backt tapfer gegen den Trend an (erster Protagonist). Sein Betrieb ist mit 14 Mitarbeitern, zwei Filialen in Genthin und einem Verkaufswagen für den Dorfplatzverkauf eigentlich hoffnungslos (dramatisieren)] zu klein. Mindestens eine Million Euro Jahresumsatz, sonst wird das nichts mehr, sagt der Bundesverband. Rode schmunzelnd vielsagend. „Das ist Unsinn (Kontrast und Widerspruch schaffen Spannung). Mein Betrieb ist groß[ genug. Das reicht mir völlig aus“, sagt er.

Großvater Albert hatte 1913 mit dem Backen angefangen (Rückblende). Früher gab es mal fünf Bäcker in Jerichow. Heute gibt es Rode und zwei Vorkassen-Backstuben in Discountern – aber auch nur noch 2800 Einwohner. „In meiner Kindheit waren es mal 5000 Einwohner“, erinnert sich der Bäcker.


Kuchen bringt Umsatz

Brötchen gehen nicht mehr so. Bis zu 4000 am Tag waren es zu DDR-Zeiten, heute weniger als 2000 (Zahlen aus der Szene entwickelt). „Dafür backen wir mehr Kuchen.“ Die Hälfte des Gesamtumsatzes mache der Kuchen aus.

Rode könnte viel erzählen über gestiegene Mehl- und Stromkosten. Ihn ärgert etwas anderes. „Jetzt ist man langsam schuldenfrei und dachte früher, man könnte nun das Personal etwas besser entlohnen oder Rücklagen bilden. Und nun fressen die hohen Energiekosten (Nebenthema, das im Kasten vertieft wird) alles auf.“

Rode glaubt trotzdem an die Zukunft des Bäckers. „Gerade kleine Bäckereien an guten Standorten in der Stadt werden keine Probleme haben. Junge Bäcker, die Trends aufspüren und neue Produkte anbieten, werden genug Kundschaft finden (die These des Textes – es gibt einen Gegentrend – zum Ersten)“, glaubt er. Rode selbst will seinen Betrieb in den nächsten Jahren abgeben. Seine zwei Töchter sind beruflich anderswo unterwegs (Die Andeutung der Geschichte in der Geschichte schafft Nähe zum Protagonisten). „Mein Geselle hat jetzt seine Meisterprüfung gemacht. Der übernimmt meinen Betrieb einmal.“


Großbäcker gründen Filialen

Der Bundesverband der Großbäckereien hatte kürzlich verkündet, dass Brot und Brötchen bald teurer werden, weil bei Energie, Logistik, Verpackung und Personal die Kosten gestiegen seien. Vier von zehn Betrieben werden bis 2020 verschwinden, glaubt der Verband (Anlass für den Artikel) (Infokasten).

Hierzulande gab es zuletzt sogar einen leichten Anstieg der Anzahl von Bäckereibetrieben – von 210 im Sommer 2012 auf aktuell 272 Betriebe. „Neubetriebe im klassischen Sinn sind das aber kaum“, sagt Geschäftsführer Andreas Baeckler (Funktionär ohne Gesicht) vom Handwerksverband Sachsen-Anhalt. Es gibt einen Trend bei Bäckereiketten zur Ausgliederung von Filialen. Damit vor allem habe dieser Anstieg zu tun. Auch in Sachsen-Anhalt gehe die Reise in Richtung industrieller Backproduktion. Entlang der Autobahnen zählt der Landesverband inzwischen 18 Backfertigungsstrecken (Funktionärssprech). „Der kleine Familienbetrieb kann sich da nur schwer behaupten“, so der Verbandschef.


Unter dem Mindestlohn

Baeckler sieht die aktuelle Mindestlohndebatte mit Sorge, weil die Personalkosten in den Bäckereibetrieben einen hohen Anteil haben. „Es gibt derzeit keine Tarifvereinbarung. Die empfohlenen Stundenlöhne liegen jedoch leicht unter dem diskutierten Mindestlohn von 8,50 Euro.“ 7,50 Euro für Gesellen und 6,40 Euro für Fachverkäuferinnen empfiehlt der Verband. Steigen die Löhne pauschal für alle Mitarbeiter, könnte dies für manche Betriebe ruinöse Auswirkungen haben.

Die Totenglocke für das Bäckereihandwerk mag der Verbandsgeschäftsführer dennoch nicht läuten. Im Gegenteil: „Die Kundschaft wird doch immer gesundheitsbewusster und kritischer im Umgang mit Lebensmitteln. Junge Bäcker mit Ideen und einem Gespür für Trends haben eine Zukunft (These zum Zweiten)“, glaubt Baeckler.

Bewährte Rezepte, frische Ideen

David Bahrendt, 25 Jahre, aus Lindhorst/Colbitz, ist so etwas wie ein Shootingstar (zweiter Protagonist) der „Back-Szene“. Der kräftige Bursche übernahm 2011 die Bäckerei von seinem handwerklichen Ziehvater Volker Düsedau, der wenig vorher verstorben war. Fünf Jahre hatte David dort gearbeitet – und offenbar viel gelernt. Nach zwei Betriebsjahren hat er heute 22 Mitarbeiter, beliefert neben dem Hauptgeschäft drei Filialen, drei Hotels und ein Altenpflegeheim. Jahresumsatz knapp über eine Million Euro. Der Laden brummt dermaßen, dass Mutter Madlon (Krankenschwester) und Vater Oliver (Lackierer) inzwischen auch mit eingestiegen sind (Familienbetrieb verkehrt herum).

David Bahrendt macht Sachen wie „Düsedaus Erntedank-Brot“ mit Karotten, Mais, Lauch und Zwiebeln. Oder alkoholfreien Apfel-Cranberry-Zimt-Stollen. Oder Wurzelbrot mit Tomaten, Curry und – auf Wunsch – Knoblauch. Verkauft wird im Laden, bestellt vorzugsweise auf seiner Internetseite. Auch die ältere Kundschaft bestellt dort. Bahrendt: „Erst neulich hat sich ein 70-Jähriger beklagt, weil auf seinem iPad (Überraschung) nicht alles korrekt abrufbar war. Das haben wir dann korrigiert.“

Der Clou von David Bahrendt ist aber das, was allgemein als „DDR-Brötchen“ (Bezug zum Aufmacherfoto) betitelt wird, er aber ungern so nennen mag. „Das Rezept ist fast 100 Jahre alt“, erzählt er. Die Kundschaft liebt seine Brötchen. 3000 Stück backt er am Tag (David Bahrendt verkörpert die These = These zum Dritten). „Alle handgeknetet und auf dem Stein und nicht auf dem Blech im Ofen gebacken.“ Was er noch alles über die Machart seines Brötchens erzählt – alle fünf Minuten von dem Hinweis unterbrochen: „Das dürfen Sie aber nicht schreiben“ – würde die Textlänge dieses Beitrages locker verdoppeln. Nur so viel: Es war äußerst interessant (gewagter Schluss, vgl. Making of).


Info-Kasten: Bäcker unter Druck

Der Bundesverband der Großbäckereien rechnet damit, dass bis 2020 vier von zehn Backbetrieben in Deutschland vom Markt verschwinden werden. Die Gesamtzahl der Betriebe werde von 14.000 auf rund 8000 schrumpfen.

Schuld sei zum einen die zunehmende Konkurrenz der Handwerksbetriebe durch Backstationen in Supermärkten und Discountern. Zu den derzeit etwa 15.000 Backstationen bundesweit werden in zwei bis drei Jahren etwa 10.000 hinzukommen.

Zum anderen machen den Handwerksbetrieben gestiegene Kosten bei Energie, Logistik, Verpackung und Personal zu schaffen. So hat zum Beispiel die Stendaler Landbäckerei (130 Filialen, 800 Mitarbeiter) 2013 108.000 Euro Mehrkosten für Mehl und 75.000 Euro Mehrkosten für Öle, Fette und Zucker und 105.000 Euro Mehrkosten für Strom.

Der Landesverband des Bäckereihandwerks befürchtet zudem Mehrkosten bei Einführung eines gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohnes von 8,50 Euro. Eine Tarifvereinbarung gibt es derzeit nicht. Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen einen Stundenlohn für Gesellen (ab 3. Jahr) von 7,50 Euro. Und für Fachverkäuferinnen (ab 3. Jahr) von 6,40 Euro.

In Sachsen-Anhalt gab es im Innungsbezirk Magdeburg 1990 etwa 730 Bäckereibetriebe. Bis Sommer 2012 schrumpfte die Zahl auf 210 Betriebe.

Aktuell sind nach Verbandsangaben 272 Bäckereien in der Handwerksrolle im Innungsbezirk verzeichnet. Die Steigerung gehe weniger auf Neubetriebe zurück, sondern auf Ausgründungstendenzen kleiner Filialen von Großbäckereien.

Wir danken Oliver Schlicht (Text und Fotos) und der Magdeburger Volksstimme für das kostenfreie Überlassen der Rechte.

Die kursivierten Kommentare stammen von Marie Lampert, die den Werkraum Storytelling der ABZV betreut.

 

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Oliver Schlicht, geboren 1962 in Magdeburg, lernte Mechaniker, studierte Schauspielkunst und erwarb in Rostock das Lehrer-Diplom für Deutsch und Musik.

1991 stieg er in die Redaktion Neue Bundesländer der Bild-Zeitung in Berlin ein, 1993 wurde er Lokalredakteur der Magdeburger Volksstimme. Seit 2001 ist er deren Sachsen-Anhalt-Reporter. Im Jahr 2006 erhielt er den Mitteldeutschen Journalistenpreis.

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