Storytelling September 2013 Making-of

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„Wir sollten versuchen, mehr Unerwartetes zu bieten“

Wie Stephan Onnen das Mühlen-Thema fand und schrieb. Das Gespräch über Zeitungmachen auf dem platten Land führte Sarah Ritschel.

Herr Onnen, Ihrem Text liegt ein konkreter Termin zugrunde: Das Dach einer alten Mühle wird abgenommen. Wussten Sie, welche Geschichte sich darunter verbirgt?


Ich hatte zumindest gehofft, auf eine spannende Geschichte zu stoßen. Die Mühle liegt zwölf Kilometer entfernt von unserer Redaktion, in einer sehr ländlichen Region, wo es mehr Kühe und Schweine gibt als Menschen. Ich hatte zuvor noch nie von ihr gehört. Die Sekretärin des Bürgermeisters hier in Hude hatte mir erzählt, dass es Menschen gibt, die diese Mühle sanieren, und dass ihr Chef eine Einladung zur Demontage des Dachs bekommen hat. Wir haben dann Kontakt zu Cathrin Eßbach und Jan Lange geknüpft – was nicht einfach war, weil sie nicht im Telefonbuch stehen. Den Termin hätte eigentlich meine Kollegin übernehmen sollen. Weil sie verhindert war, bin dann ich relativ spontan losgefahren – und musste die Mühle erst mal suchen.

Also hatten Sie sich auch keinerlei Fragen überlegt?


Nein. Ich hatte auch kein Zeitlimit eingeplant, sondern einfach die Hoffnung, dass die Besitzer der Mühle sympathisch sind und sich ein Gespräch ergibt. Tatsächlich hatten wir auch gleich einen guten Draht zueinander. Ich war etwa zwei Stunden da, bin mit Jan Lange bis unter die Kappe zur Flügelwelle geklettert, habe mir selbst den Kopf gestoßen, wie es im Text beschrieben ist (lacht).

Profitiert der Artikel davon?


Absolut. Ich habe mir in der Mühle alles zeigen lassen, habe mich mit Jan Lange Stockwerk für Stockwerk hochgearbeitet. Die Besitzer waren sozusagen bereit, mir ihr Innerstes zu öffnen. Das einzige, was in der Mühle fertig war, war das Zimmer von Jan Langes Tochter Lena. Trotzdem war gerade Cathrin Eßbach stolz auf jeden kleinen Erfolg. Diese Zufriedenheit, die entspannte Einstellung des Paares wollte ich zeigen – auch im Bild übrigens.

Warum erwähnen Sie den Anlass für Ihren Artikel – die Sanierung des Mühlendachs – erst ganz zum Schluss?


Ich gebe innerhalb des Textes fast chronologisch die kleinen Fortschritte bei der Mühlensanierung wieder. Das ist der rote Faden des Artikels. Und die Instandsetzung der Mühlenkappe ist eben der nächste Meilenstein, der zu diesem Zeitpunkt erst noch bevorstand.

Haben Sie lange über den Aufbau Ihres Artikels nachgedacht?


Ich habe mir vor allem über den Anfang Gedanken gemacht. Der ist das Wichtigste am Text, muss den Leser überzeugen. Der Rest ergibt sich aus dem Fluss des Schreibens. Bei diesem Artikel bot sich der Anfang an: Cathrin Eßbach hatte mir gleich zu Beginn unseres Treffens erzählt, dass sie nicht an Zufälle glaubt. So konnte ich auch am Ende gut einen Bogen schlagen. Grundsätzlich schreibe ich am liebsten aus der Erinnerung. Nachdem ich die zwei Stunden an der Mühle verbracht hatte, schrieb ich den Artikel am selben Abend. So sind die Eindrücke noch gegenwärtig. Darüber hinaus habe ich ein paar Fachbegriffe nachgeschlagen und die Zitate kontrolliert.

Der Text ist keine klassische Reportage. Wie würden Sie selbst Ihr Genre bezeichnen?


Ich würde sagen, es ist eine Erzählgeschichte, angereichert mit ein paar Feature-Elementen. Generell finde ich es aber nicht so wichtig, einen Text immer einem Genre zuordnen zu können: Er muss einfach unterhaltsam und stimmig sein, so viel Spannung wie möglich aufbauen.

Sie arbeiten für die Nordwest-Zeitung und sind zuständig für die Region Hude. Suchen Sie – wie bei der Mühle auch – hinter jeder Meldung dieses Spannende, Besondere?


Hude hat 16 000 Einwohner, wir machen zu zweit jeden Tag zwei Seiten. Da kann man sich nicht nur auf Terminjournalismus verlassen. Es gibt schlichtweg zu wenig Termine und Meldungen, als dass wir damit unsere Seiten füllen könnten. Wir setzen auf Features, Porträts und andere Lesegeschichten. Das tun wir nicht aus Zwang heraus, sondern aus Überzeugung. Ich persönlich versuche wann immer es geht, Geschichten von Menschen zu erzählen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mir als Redakteur viel mehr Spaß machen.

Sollten Lokalzeitungen die Menschen mehr ins Zentrum rücken?


Ich glaube schon. Wir sollten versuchen, den Lesern mehr Unerwartetes zu bieten, ihnen in der besonderen Art, wie wir Vorgänge erzählen, Lesevergnügen zu bereiten. Wenn wir nur Termine wahrnehmen würden, hätten wir bald keine Auflage mehr. Wir müssen versuchen, auch trockene Themen nah am Menschen zu erzählen. Zu meinem Artikel über die Mühle etwa habe ich zwar keine direkten Rückmeldungen von den Lesern bekommen, aber offensichtlich einige dazu gebracht, sich selbst auf den Weg dorthin zu machen. Als das Dach schließlich abgenommen wurde, gab es Kaffee und Kuchen, viele Zuschauer waren gekommen – ein richtiges Event.

Interview: Sarah Ritschel

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Sarah Ritschel, geboren 1986, volontiert bei der Augsburger Allgemeinen. Ihren ersten Artikel schrieb sie nach dem Abitur für die Schwabmünchner Allgemeine. Während des Studiums (Soziologie, Europäische Ethnologie, Neuere deutsche Literaturwissenschaft) kamen immer mehr Texte und verschiedene Medien dazu – und plötzlich ist der Nebenjob ihr Hauptberuf.

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